Tanja Hirschfeld im MuniqueART Interview


Wir sprachen mit der Malerin und Zeichnerin Tanja Hirschfeld über Ihre Kunst, ihren Werdegang und wie es ihr in der aktuellen Corona-Krise geht.

Tanja, ich kann mich noch gut daran erinnern, wie wir uns in meiner Galerie in der Schleißheimer Straße hier in München erstmalig getroffen haben. Du warst erst kürzlich aus den USA wiedergekommen, mit der nun konkreten Idee, den Fokus in Zukunft weniger auf die Arbeit als Grafikerin, sondern viel mehr auf die Arbeit als freie Künstlerin zu legen. Das war 2015. Seitdem ist viel passiert. Ich freue mich sehr, dass Du Zeit hast, uns einen Einblick in Dein heutiges Leben und Deine Haltung als sehr erfolgreiche Malerin zu geben.

Du hast erst relativ spät den Weg der Malerin eingeschlagen und zuvor als Grafikdesignerin gearbeitet. Wie kam es dazu und was würdest Du Deinem 20-jährigen Ich raten?

Ich würde tatsächlich fast alles genauso wieder machen. Mit 18 Jahren habe ich Abitur gemacht und habe mich auf der Akademie in München beworben, es war immer mein Traum gewesen an einer Kunstakademie zu studieren. Der Professor meinte, ich solle 1 Jahr lang nur zeichnen und malen und dann wiederkommen. Sprich: Ich war noch nicht so weit. Tatsächlich war mein zeichnerisches Talent ok, aber ich hatte zu dem Zeitpunkt keine Ahnung was ich mit meinen Bildern erzählen wollte. Parallel wurde ich an der FH für Kommunikationsdesign aufgenommen. Also beschloss ich erstmal 4 Jahre Grafikdesign zu studieren und plante, mich danach nochmal auf der Akademie zu bewerben. Dann kam alles anders: Nach dem Studium arbeitete ich zusammen mit meinen Studienkollegen in unserer eigenen Agentur und baute mir eine finanzielle Sicherheit auf.

Nachdem ich 2 Kinder bekommen hatte, meinen Beruf jahrelang ohne Pause weiter ausgeübt hatte, fiel ich vor einigen Jahren in ein Loch. Im Nachhinein fühlt es sich an wie eine Art Häutung – ich habe ähnlich wie in der Pubertät angefangen, alles zu hinterfragen. Inzwischen weiß ich, dass Frauen ab 40 oft eine Neuorientierung erleben. Ich erlebte ein Jahr der Desorientierung, in dem es mir nicht gut ging, und als Antwort darauf fing ich plötzlich an zu zeichnen. Später entdeckte ich die Fähigkeit zum Malen. So kam Eins zum Anderen. Ich organisierte meine erste Ausstellung und es folgten weitere. Ich gab meinen Beruf auf. Endlich wusste ich, was ich erzählen wollte, nämlich von der inneren Zerrissenheit.

Rückblickend würde ich meinem 20-jährigen Ich raten, alles genauso wieder zu machen, nämlich immer dem Bauchgefühl zu folgen und darauf zu vertrauen, dass man am Ende sein Ziel über viele Wege erreichen kann, wenn es ein Herzenswunsch ist.

Du bist ein Familienmensch, hast einen Mann und zwei Kinder. Prägt die Kunst auch euren familiären Alltag? Wenn ja, wie dürfen wir uns das vorstellen?

Die Arbeitsräume von meinem Mann und mir sind in die Wohnung integriert. Da dieser Platz aber oft nicht ausreicht, muss ich manchmal vor Ausstellungen die ganze Wohnung mit meinen Bildern behängen, um die Wirkung der Bilder zueinander zu sehen. Das heißt, bei uns wird ständig umgeräumt. Unsere Kinder wachsen in einem Haushalt auf, wo sie zwischen Atelier und Film- und Fotostudio meines Mannes hin und her wandern können. So landen meine Farben und Pinsel oder auch die Fotoausrüstung meines Mannes oft in den Kinderzimmern. Sie haben früh gelernt, kreativ zu arbeiten und Ideen selbstständig umzusetzen, das ist ein wichtiger Schritt zu einem gutes Selbstbewusstsein. Und sie haben schon verstanden, dass es möglich ist, seine eigenen Ideen ohne einen Vorgesetzten umzusetzen. Da fällt schonmal der Satz „Wenn ich groß bin, werde ich auch mein eigener Chef sein.“

Du bist nicht nur eine Frau in der Kunst, sondern wählst die Frau auch als häufiges Objekt Deines künstlerischen Schaffens. Durch das sehr große Format fast all Deiner Ölgemälde stellst Du dem Betrachter die dargestellten Personen – meist Frauen – unmittelbar gegenüber, lässt ihn sogar zu ihnen hinaufblicken. Was hat es damit auf sich?

Nachdem ich jahrelang Beruf, Kinder und Haushalt unter einen Hut gebracht und tagtäglich meine „Aufgaben“ pflichtbewusst erfüllt hatte, kam eine Zeit, in der ich inne gehalten habe. Natürlich hatte auch ich als berufstätige Mutter oft zurückstecken müssen. Und ich wusste plötzlich nicht mehr, wer ich war. Also habe ich diese müde Frau, die sich in den letzten Jahren verloren hatte, aufgepeppelt. Ich habe begonnen, die Weiblichkeit zu feiern, die liebende Mutter und putzende Hausfrau zu nehmen und auf ein Podest zu heben. Was man aber auch in den Figuren spürt, ist die kulturelle Zerrissenheit. Ich verbinde Kostümelemente aus unterschiedlichen Kulturen in einer Person. Oft haben sie Masken auf, oder halten diese in der Hand. Diese stehen sowohl für die unterschiedlichen Rollen, die wir leben, als auch für die Identifizierung mit unterschiedlichen Kulturen. Übrigens habe ich letztes Jahr mal einen Mann gemalt und das Bild gefällt mir sehr gut.

Historisch betrachtet wurde Frauen bis ins 20. Jahrhundert (und darüber hinaus) künstlerisches Talent abgesprochen. Würdest Du sagen, dass sich Frauen mittlerweile gänzlich in der Kunstwelt emanzipiert haben?

Dafür sind noch ein paar Jahrzehnte nötig. Die metoo-Debatte hat dazu geführt, dass auch Künstlerinnen mehr Beachtung finden. Plötzlich werden vergessene Künstlerinnen entdeckt, das Thema „Frau“ wird in Ausstellungen neu durchleuchtet. Aber Trends vergehen auch wieder. Solange keine Gleichstellung in Politik und Wirtschaft erreicht ist, wird es diese in der Kunstwelt auch nicht geben. Andererseits sollte es mit eine Aufgabe der Kunst sein, dies zu erreichen.

Viele Deiner Werke wirken mystisch – ja geradezu unheimlich. Du spielst mit der Kombination von mädchenhafter Unschuld und Düsternis. Wie kamst Du auf dieses für Deine Arbeiten so charakteristisches Element?

Ähnlich wie ein Buch oder Film lebt die Malerei von Spannung und Diskrepanzen. Wenn die Figur stark wirkt und gleichzeitig eine Verletzlichkeit zu spüren ist, dann macht es sie erst interessant. Die erzeugte Spannung macht uns aufmerksam. Irgendetwas hindert mich daran, nur Schönheit zu malen. Es muss ein Bruch zu spüren sein. Oft erreiche ich diesen durch den Blick der Figur. Erst wenn die Augen den richtigen, verletzlichen Ausdruck haben, ist das Bild fertig. 

Aber genauso ist das Leben, es ist eben nicht nur schön. Es besteht aus Gegensätzen: Leben/Tod, Glück/Trauer, hell und dunkel – ein Auf und Ab der Gefühle.

Die Corona-Pandemie (COVID-19) hat momentan das künstlerisch-kulturelle Leben sowohl in Deutschland, als auch weltweit fast zum Erliegen gebracht. In Europa ist Italien am stärksten betroffen. Du hast deutsche und italienische Wurzeln. Wie nimmst Du die derzeitige Situation wahr und welche Auswirkungen hat sie auf Deine Kunst und künstlerische Tätigkeit?

Meine Mama und Schwester leben in Norditalien. Ich habe diese Krise also schon mehrere Wochen, bevor es in Deutschland losging, mitbekommen. Als hier die ersten Fälle auftraten, haben wir unsere Kinder vorzeitig aus der Schule genommen und uns stark zurückgezogen. Mir war von Anfang an klar, dass es auch hier unser Leben verändern würde.

Tatsächlich bin ich in ein kreatives Loch gefallen. Eine Installation, die ich mit Betty Mü gemacht habe, sollte die nächsten 2 Monate gezeigt werden. Mit dem Künstlerinnen-Kollektiv „Die Villa“ hatte ich gerade eine Ausstellung zum Weltfrauentag laufen, wir hatten viel Arbeit reingesteckt und mussten sie nach der Eröffnung absagen. Ich hatte Bilder für die Stroke Messe in München gemalt und war dabei die Bilder für meine nächste Ausstellung im Juli vorzubereiten. Plötzlich wurde ich aus meinem Arbeitsflow gerissen und all das war nicht mehr wichtig.

Seitdem konzentriere ich mich auf meine Familie in Italien und die Kinder. Ich vermisse das Malen sehr, aber gerade sind eben Familie und Mitmenschen wichtiger. Ansonsten verbringe ich viel Zeit am Telefon. Viele meiner Freunde sind in finanzielle Not geraten, manche wurden positiv getestet und hatten Sorge, Risikopatienten in ihrer Umgebung anzustecken. Es ist okay, dass anscheinend viele aus dieser Situation fast nur Gutes ziehen. Immer wieder höre ich auch Freunde sagen „Endlich Nichts tun, endlich Zeit.“ Aber ich schaffe das nicht. Erstens habe ich viel weniger Zeit, weil der Alltag voll ist mit Haushalt, Schule, Kochen, Bewegung, clever einkaufen, Telefonieren und Helfen. Zweitens schaffe ich es nicht zu chillen, während es anderen mies geht. Drittens müsste ich arbeiten, wenn ich Zeit hätte.

Ich bin mir sicher, wir werden viel aus dieser Situation lernen und es entwickeln sich schon jetzt schöne Initiativen, um anderen zu helfen. Vielleicht entsteht ein neues Kollektivbewusstsein. Aber ich befürchte, es wird auch unheimlich viel Leid geben. Ich mache mir Sorgen um die Entwicklungsländer, um die Flüchtlingsgebiete. Aber auch um Freunde, die z.B. ihre Gastronomiebetriebe verlieren werden. 

Grundsätzlich spüre ich momentan, dass sich Werte, die bereits vorher bestanden, festigen. Ich habe nicht das Gefühl, dass wir uns als Gesellschaft groß ändern werden, wenn die erste große Welle überstanden ist. Reiche Länder werden schneller und effektiver handeln können als Ärmere. Und glückliche Menschen werden eine Weile etwas glücklicher sein, wenn sie ihre Freiheit wieder haben. Aber einsame Menschen werden danach noch hoffnungsloser sein. Italien wird auf jeden Fall stark unter der Pandemie leiden.

Wie blickst Du als Künstlerin der Zukunft entgegen? Überwiegt die Angst vor einer ungewissen Zukunft oder hältst Du vielleicht sogar eine Art Renaissance, eine Blütezeit der schönen Künste nach der Krise, für möglich?

Ich habe das Gefühl, dass wir uns bereits in einer Art Blütezeit der schönen Künste befinden. Es wurde so viel Kunst gekauft wie noch nie. Man hängt sich Originale ins Wohnzimmer, die kreative Selbstverwirklichung steht ganz oben. Es kommt nun darauf an, wie lange die Extremsituation anhält. Wenn im Mai die Kinder zurück in die Schule und alle wieder zur Arbeit gehen können, kommt zumindest Deutschland mit dem Schrecken davon. Und das Land wird sich nach dem Schock wieder erholen. Aber international wird der Kunstmarkt sicher leiden, denn niemand weiß momentan, wie stark sich das Virus verbreiten wird.

Du bist sehr erfolgreich. Deine Werke verkaufen sich gut und Du arbeitest mit einigen nationalen und internationalen Galerien zusammen. Was macht für Dich eine optimale Zusammenarbeit aus?

Es muss auf jeden Fall menschlich passen und ich reagiere sehr sensibel darauf, wenn mehr über Geld als über die Kunst gesprochen wird.

Du bist selbst oft mit Deiner Familie in Los Angeles und hast dort bereits erfolgreich in verschiedenen Galerien ausgestellt. Was bedeutet die Stadt für Dich und was sind, Deiner Meinung nach, die größten Unterschiede zwischen Ausstellungen in den USA und in Deutschland?

In Los Angeles habe ich damals angefangen zu malen, deshalb bedeutet mir die Stadt sehr viel. Ich habe über mein Interesse zum Popsurrealismus eine sehr schöne Community in L.A. kennengelernt. Inzwischen fühlen wir uns dort richtig zuhause. Im Unterschied zu Deutschland kommt man dort sehr schnell mit Persönlichkeiten in Kontakt. So habe ich z. B. die Künstler Shag und Mark Ryden kennengelernt. Und man hilft sich. Die Leute sind offener, verrückter, lässiger. Man trifft sich auf einen Cocktail und 2 Tage später hängen deine Bilder im Laden eine Straße weiter. So habe ich es zumindest oft erlebt. Irgendwie wurschtelt sich dort jeder als Künstler, Schauspieler oder Musiker durch und es ist selbstverständlich, dass man sich gegenseitig unterstützt. 

Letzten Sommer bin ich beim Joggen bei einem Retro-Barbier vorbeigekommen und habe spontan gefragt, ob ich dort eine Pop-Up Ausstellung machen könnte. Eine Woche später hingen meine Bilder, die Außenfassade war dafür extra frisch gestrichen worden. Sie wollten keine Miete. Ich habe ihnen trotzdem etwas gezahlt, aber das ging dann an ein mexikanisches Waisenhaus. Und man muss dazu sagen, die Familie ist nicht reich, sie hatten einfach nur Spaß daran, etwas auszuprobieren. Diese Begeisterungsfähigkeit und Flexibilität fehlt uns Deutschen.

Was auch lustig ist in L.A., ist, wenn man was verkauft, dann ist der Käufer oft „Jemand, der Jemanden kennt“. Ich habe z. B. ein Werk an die Frau vom Drummer von Sting verkauft, eins an die Frau vom Regisseur von „From Dusk Till Dawn 3“. Wenn man mehr Zeit dort verbringen könnte, würde man meiner Meinung nach als europäischer Künstler schneller erfolgreich werden.

Du hast zuletzt die Serie „Culture Mix“ mit 25 Motiven hervorgebracht. Ich weiß von Dir, dass die Motive oft bereits vor Fertigstellung verkauft waren. Bei einem Besuch im Café Roma in München freue ich mich immer darüber, Deine beiden 140 x 200 m riesigen Ölbilder aus eben dieser Serie „zu treffen“. Hat diese Serie ein Ende und woran arbeitest Du aktuell?

Ich hatte tatsächlich vor, dieses Jahr eine neue Serie zu starten. Aber dann kam der Auftrag für 2 neue Bilder aus genau dieser Serie. Also dachte ich, ok, die Beiden male ich noch und dann fange ich etwas Neues an. Nun hänge ich aber wieder an einem großen Bild aus dieser Serie. Dieses Mal aber, weil ich anscheinend selbst nicht davon loskomme. Ich denke, ich darf das nicht mehr als Serie bezeichnen, sondern es ist eben meine thematische Triebfeder. Sie wird sich sicher etwas verändern, aber ich werde grundsätzlich bei der Portraitmalerei bleiben.

Ich beschäftige mich immer mehr mit Installationen. So wurde ich ein zweites Mal in die „Art Box“ vom Wabi Sabi Shibui in der Ludwigstraße eingeladen. Das ist jedes Mal eine schöne Herausforderung. Seit Januar hängt dort eine Zusammenarbeit mit der Videokünstlerin Betty Mü. Im Zuge dessen habe ich digitale Illustration ausprobiert und eine 3er Serie mit dem Titel „Die Frau im Wolfspelz“ kreiert. Drei runde Acrylglasscheiben, die mit Illustrationen bedruckt sind und Elemente aus japanischen Sagen und von den Gebrüdern Grimm vereinen. Auch da bin ich mir thematisch treu geblieben. Mit dem Künstlerinnenkollektiv „Die Villa“ arbeiten wir zu fünft auch an installativen Arbeiten, Performances und sehen es als Herausforderung an, uns jedes Mal einer neuen Thematik zu stellen. Vielleicht ist es so, dass ich mich dort auslebe und mir deshalb in der Malerei treu bleibe.

Dankeschön, für Deine Zeit und dieses angenehme Gespräch. Wir freuen uns auf viele weitere Gespräche und die Zusammenarbeit mit Dir! 




Bis Ende Mai 2020 können u.a. die Werke Mickey Mädchen, Junge01, Clownsjunge I, Clownsjunge II (von links nach rechts) zu Sonderkonditionen erworben werden.
Hier geht es zur MuniqueART Collection.

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Das Interview wurde am 30. März 2020 von Simone Schmitt-Schillig und Lina Rieder geführt.