Florian, Du bist international anerkannter und gefeierter Bühnenbildner für Theater, Ballett und Oper. Nun auch „Maler“? Wie kam es dazu?
Als Kostüm- und Bühnenbildner beschäftige ich mich seit mehr als dreißig Jahren damit, Menschen einen Raum zu kreieren oder ein Kostüm, in dem sie fähig sind, das Menschsein in aller Breite – von absoluter Schönheit bis zur Versautheit – darzustellen. Das Zeichnen selbst schaut dem Menschen sehr genau in die Eingeweide. Anfangs mit Tusche oder Stiften, die nicht löschbar waren, das fordert eine Konzentration und Verbindlichkeit. Heute nutze ich dafür das elektronische Material unserer Zeit, das Handy, ein Tablett oder den Computer.
Mir macht es Spaß, dem Rechner die Musikalität der Linien, Fragilität und Zerfall, Dreck oder wenn man so will Materialität beizubringen. Wenn es dann noch Bezüge zu meinen philosophischen Lieblingsthemen (Achsenzeit, unvollendete Moderne als gesellschaftliches Trauma, Axis Mundi, Exodus, Nacht der Welt, usw.) gibt, ist eine dicke Suppe angerührt, die nichts mehr mit dem landesüblichen Lampengeschäft zu tun hat. Diese neue Inhaltlichkeit und berstend starre Expressivität am Computer zu entwickeln ist sehr aufwühlend, entsprechend ist der Output. Seit ca. drei Jahren beschäftige ich mich gezielt mit elektronischer Malerei. Ende 2019 habe ich ca. 40 Werke erstmals in einer größeren Ausstellung präsentiert. Ich stehe also am Anfang.
Die Werke, die derzeit in Stuttgart zu sehen sind, sind alle im selben Format. Was hat es damit auf sich?
Die digital vergrößerte Zeichnung übt eine große Faszination auf mich aus. Zunächst stellt das eine große Lüge dar, etwa vergleichbar mit einem Kinoplakat, in der Philosophie sagt man „das Reale einer Illusion“. Die Großzügigkeit, Klarheit und Unschuld unterliegt nicht dem manchmal angestrengten Avantgarde-Diktat. Mit dem Format meiner Leinwände (195x130cm) stelle ich bewusst dem Betrachter ein Pendant gegenüber und lasse sie auf Augenhöhe kommunizieren. Dieser körperliche Bezug verbindet sich mit dem digitalen Werk. Der Einstieg in die virtuelle Welt, als Abbild der realen Welt, wird gedanklich angeregt. Was am Ende echt ist, entscheidet …Wer? Es ist ein Spiel, eine Einladung durch die multiemotionale und -mediale Welt meiner Sujets zu reisen.
Das besondere an der aktuellen Ausstellung ist die Kombination von je 5 großen Werken zu insgesamt 6 „Inseln“. Die Höhe der Wände im Schauspiel Stuttgart lässt diese Komposition – oder fast schon Installation – aus den verschiedenen Serien überhaupt zu, ohne den Betrachter zu erschlagen. Ich konnte es aufgrund der Größe der Werke nicht vorher ausprobieren und bin froh und selbst erstaunt über diesen gelungenen Effekt.
Wir reden bereits über Deine Ausstellung „Phenomenology of sth“, die im Schauspiel Stuttgart gezeigt wird und noch bis zum 29. Juli zu sehen ist. Die Laufzeit deckt sich mit der Spielzeit des Theaterstücks „Weltwärts“ des Intendanten Burkhard C. Kosminski. Gibt es eine Verbindung zwischen Deiner Ausstellung und dem Theaterstück?
Meine Zusammenarbeit als Bühnenbildner mit dem Regisseur Burkhard C. Kosminski besteht seit über 20 Jahren. Wir haben in dieser Zeit sehr viele unterschiedliche Ästhetiken und nicht nur eine künstlerische Freundschaft entwickelt. Die Location des Schauspiels hat uns inspiriert, dort zeitgleich eine Ausstellung meiner „privaten“ Werke zu zeigen, während im Theaterstück „Weltwärts“ ein professionelles Werk, das Bühnenbild, von mir zu sehen ist. Ich bin sehr dankbar für die Anerkennung meiner Arbeit und die Möglichkeiten, die mir offen stehen und kann nur dazu einladen, sich im Schauspiel Stuttgart beides – Ausstellung und Theater – anzusehen. Es gibt keine konkrete Verbindung, außer dass im Theater immer der Mensch im Mittelpunkt ist.
Du hast Dich beim Schaffen Deiner Werke bewusst für eher unkonventionelle Techniken entschieden. Wie heben sie sich von anderen Stilen der Kunst ab und was vermögen sie für Dich auszudrücken?
90% der Arbeiten werden im Computer / Rechner erstellt. Mich selbst reizt der Gedanke mit diesem kalten 0 / 1 System, eine Sprache für eine Innerlichkeit und Expressivität zu entwickeln, buchstäblich den Rechner dazu zu zwingen Dreck zu machen, das vielleicht eine Aufgabe der Malerei ist. Dieses Dreckmachen, dieses Zulassen und Spielen mit dem Ungenauen, öffnet den Blick auf den unbeschreiblichen Teil des Menschen.
Zeichnung hat in seiner Großzügigkeit und Unprätentiösität immer etwas Verzeihendes. Gleichzeitig lässt sie sich mit Musikalität und Ekstase aufladen, so dass die Dynamik der Linien noch beschleunigt wird.
Das Relief beschreibt eine Zwischenform und oszilliert zwischen den Eigenschaften der Malerei und der Plastik. Die Plastik wird unter einer Oberfläche begraben, will raus, geht aber nicht.
Modellbau simuliert wie Relief, Zeichnung und Malerei auch. Warum alles zusammen? Das Wahrnehmen der Welt, der Blick ist dermaßen gierig und obszön geworden, dieser Ritt durch die Bildwelt fordert eine Antwort. Es könnte auch eine Stille sein, ein stummer Rückzug, mir selbst macht der Ritt auf dem medialen Durcheinander mehr Sinn und Spaß.
Wir bedanken uns für das Interview.
Das Interview wurde am 12. März 2020 von Simone Schmitt-Schillig geführt.
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